Duisburger Jungenbüro

geschlechterreflektierte Pädagogik mit Jungen* in Duisburg - seit 20 Jahren
 

Mein Testgelände wird 5...

...und lieferte auf dem Fachtag tolle Einblicke in die Arbeit. Mit dabei waren natürlich Teile der Redaktionsgruppe von HeRoes Duisburg und Grrrls Voice of HeRoes Duisburg.

Berlin, 04.10.2018

So einen Rahmen erlebt man in der pädagogischen Arbeit bei Fachtagen höchst selten. Geladen wurde heute von den Trägern des Projektes Mein Testgelände, BAG Jungenarbeit und BAG Mädchenpolitik, direkt in das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach Berlin- Mitte. Die Moderation übernahm Tarik Tesfu, feministischer Blogger und Videokolumnist von „Tariks Genderkrise“. Mit von der Partie waren natürlich viele bekannte Gesichter. Aber der Reihe nach: Zunächst wurde die Veranstaltung eröffnet von Vorstandsmitgliedern der Bundesarbeitsgemeinschaften, Kerstin Schachtsiek (BAG Mädchenpolitik) und Miguel Schütz (BAG Jungenarbeit). Sie betonten in ihren Grußworten die Wichtigkeit der Arbeit des Projektes, an den Themen, welche die jungen Menschen beschäftigt und umtreibt. Und dass dieses Projekt dafür sorgt, dass Jugendliche und junge Erwachsene eine Möglichkeit erhalten, sich für Ihre Themen einzusetzen, und ihre Ansichten dazu zu vertreten.

Einen Aspekt, welche die nachfolgenden HeRoes Soufian El Abdouni und Emre Bayanbas mit ihrem beeindruckenden Poetry Slam gleich in die Tat umsetzten. Was bedeutet Männlichkeit*, welche Zweifel und Auseinandersetzungen begleiten den Weg von jungen Männern* auf dem Weg zum Erwachsenwerden? Und wie geht man damit um? Emre und Soufian wissen es auch nicht, aber sie wissen, dass keine pauschale Antwort den komplexen Fragen genügen kann.

Auf die beiden jungen Duisburger betrat Sven Hensel die Bühne, welcher sich in seinem Slam auf ein ganz anderes Thema stürzte, nämlich dem Gefühl, von Eltern nicht beachtet zu werden, schlimmer noch, als falsch wahrgenommen zu werden, niemals genug zu sein, niemals auszureichen. Auf durchaus humoristische Weise führt er aus, welcher Sprengstoff in Beziehungen zu Eltern liegt, liegen kann, hin bis zur Ablehnung der Homosexualität des Sohnes.

Einen ebenfalls sehr persönlichen Eindruck gewährte im Gespräch mit Tarik Tesfu die Blogger*in, Autor*in und Informatikstudent*in Lilith Diringer, welche mal kurz erklärte, weswegen sie bereits mit 12 zwei Bücher geschrieben hatte. Und zwar über die Themen, welche für sie als 9- und 12- jähriges Mädchen interessant und auch relevant waren. Als Student*in der Informatik berichtete sie über etwas, was in dieser Runde höchst selten zur Sprache kam: nämlich die mangelnde Förderung von Mädchen* und jungen Frauen* im Bereich der Naturwissenschaften in der Schule. Ein Thema, was nach all den Jahrzehnten immer noch aktuell erscheint.

Als Hausherrin begrüsste Staatssekretärin Juliane Seifert nun auch die Gäste. Sie freute sich über den beeindruckenden Erolg des Projektes und beschrieb die Erfolgsgeschichte in kurzen Worten aus der Sicht des Hauses.

Ein Ausrufezeichen setzte der Vortrag von Dr. Maya Götz, der Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen des Bayrischen Rundfunks. Spannend und detailiert führte sie in das Thema Geschlecht in den Kinder- und Jugendmedien, hier dem Fernsehen, ein. Sie schaffte es, auf spannende Art und Weise Geschlechterbilder im Kinder- und Jugendfilm aufzuzeigen und die dazu gehörigen Daten zu liefern. Sie bezog sich dabei sowohl auf die Inszenierung der Protatgonist*innen als auch die zugewiesenen Rollenbilder, welche „25 Jahre hinterher hinken.“ Ebenfalls lieferte sie den Blick hinter die Kamera und lieferte die Daten und Zahlen zu den Geschlechterverhältnissen von Regie, Drehbuch, Produktion und Co.. Zusammenfassend belegt sie, dass Kinder- und Jugendfernsehen sowohl von Hersteller*seite als auch inhaltlich stark männlich dominiert sind. Männliche Rollen sind immer noch die starken, kreativen, handelnden Rollen, während die weiblichen Rollen, so sie vorhanden sind, im wesentlichen die Aufgabe haben, hübsch zu sein. Ebenfalls ging sie auf soziale Medien ein, in denen Jugendliche und junge Erwachsene selber Inhalte produzieren. Insbesondere beeindruckte die Statistik zu den Top 5 der YouTube- Influenzer, welche auf männlicher* Seite Themen wie Sport, Gaming, Musik und Popkultur abdecken, auf weiblicher* aber bis auf einer Ausnahme nur das Thema „Beauty“ haben.

Derlei eingeführt in das Umfeld, in dem sich Mein Testgelände als Gendermagazin behaupten muss, lieferten Michael Drogand- Strud und Drin. Claudia Wallner auf das eigentliche Projekt ein: 5000 Seitenaufrufe, 7000 Videoabrufe auf Youtube zeigen, dass es ein Bedürfnis nach Auseinandersetzung um die Themen gibt, welche vom Testgelände bearbeitet werden. Ein Thema beschäftigte das Projekt aber auch, das Thema Umgang mit Hatespeech. Manche Videos führten zu erbosten Reaktionen. Sie zeigten sich auf den Seiten auf YouTube, aber auch auf Facebook und führte dazu, dass die Kommentarfunktion auf YouTube eingestellt wurde. Sie gingen aber auch auf das gegenwärtige Thema ein, dass das Projekt bisher noch keine Finanzierung über das Jahr 2018 hat und somit nach augenblicklichem Stand am Ende des Jahres in der Form nicht weiter geführt werden kann. Deutlich wird der notwendige Aufwand, wenn man die Zahlen zum zweiten Standbein, die Vernetzung der Fachkräfte in den sozialen Medien eingeht: über 4000 Mitglieder der Gruppe „Geschlechtersensible Pädagogik“, wovon sich über 90 % an Diskussionen, durch Beiträge beteiligen, sprechen eine deutliche Sprache. Mit 25 Stunden Zeitaufwand pro Woche erzeugt eine solcherlei aktive Gruppe aber auch eine Menge Arbeit.

Der Einstieg nach der Mittagspause wurde durch Mila und Daya Bagdach- Lauten von den Hollies aus Köln geleistet. In ihrem Rap positionieren sie sich gegen sexistische und degradierende Anmache, gegen den alltäglichen Sexismus gegen Mädchen* und Frauen* und machen ihrem Frust über derlei Verhältnisse lautstark Luft. Ihre Bestimmtheit in den Ansagen steht dem musikalischen Vorbild Sookee in nichts nach.

Nicht musikalisch, aber auf nachdenkliche und trotzdem witzige Weise führten die Jungs von "Was geht Almanya" in das Thema „männliche Stereotype“ ein. Gemäß der bemühten Moderationsanleihe an „Männer“ von Grönemeyer zeigten die Jungs, was einen richtigen Mann* ausmacht, und brechen gleich mit den Erwartungen und demaskieren somit Rollenbilder als das, was sie sind: unerfüllbar, und für sie nicht erstrebenswert.

Die Redaktionsleitungen Susan Bagdach (Hollies) und Gandhi Chahine (Was geht Almanya) standen danach im Talk Moderator Tarik Tesfu Rede und Antwort zu den Fragen rund um den Themenkomplex „Jugend und Gender“, ein schliesslich nicht ganz einfaches Thema für die Jugendlichen selber. Und trotzdem beschäftigt es. Beide Redaktionsleitungen betonten dabei die Notwendigkeit eines starken Mediums, über das man sich ausdrücken könne. Das Gefühl, nicht gehört zu werden, die eigene Stimme im Gewirr der Stimmenvielfalt nicht wahrnehmen zu können, sorgt ihrer Beobachtung nach für Frust, Wahrnehmung und erfolgte und gelebte Solidarität auch unter den Gruppen hingegen sorgt dafür, dass Auseinandersetzungen aktiv angegangen werden. Anlaß war auch hier bereits das Video der Grrrls Voice of HeRoes Duisburg, welche ein Video zur 120dB- Kampagne der rechtsradikalen Identitären Bewegung veröffentlicht hatten. Der Shitstorm führte zu einer Solidarisierung der anderen Redaktionsgruppen, und die Kölner „Hollies“ produzierten ein Video unter dem Titel 68 bpm als Antwort.

Nachdem die einen Talkgäste das Podium verliessen, kamen Susanne Reitemeier- Lohaus und Selim Asar für die Grrrls Voice of HeRoes Duisburg und die HeRoes Duisburg auf das Podium. Sie berichteten von den empowernden Erfahrungen im „HeRoes“- Gesamtprojekt. Sie sprachen aber auch davon, unter welchen Bedingungen eine erfolgreiche Arbeit erfolgen kann, was also auch geboten werden muss. Fachliche Anleitung gehört manchmal dazu, aber zumeist vor allem eines: Geduld, Zeit und die Fähigkeit, thematische Auseinandersetzungen zu lenken sowie bei Notwendigkeit einen fachlichen Input. Die Argumente, die Themen an sich, den Drive zur Auseinandersetzung haben die jungen Menschen bereits selber, aber sie brauchen einen Raum und die Möglichkeit, sich untereinander zu treffen. Untereinander meint, dass es einen eigenen Wert hat, mit Menschen zusammen zu kommen, ohne Zwang, ohne Vorgabe, um sich zu öffnen, um dabei zu bleiben und somit die Basis zu legen, sich reflektiert den Fragen stellen zu können. Insbesondere deswegen erscheint das drohende Projekt- aus so schwerwiegend.

Die kommenden zwei Podiumsgäste Hatice Tekes und Merve Boyazi von den Grrrls Voice schilderten es ganz persönlich auch als Emanzipations-, als Wachstumsprozess, welcher beiden mehr Selbstvertrauen gibt und sie zu deutlich gefestigteren Menschen macht. Insbesondere ihre Erfahrungen rund um das Video zur 120 dB- Kampagne gab ihnen aufgrund der Reaktionen Kraft und Selbstvertrauen. Denn neben dem Shitstorm bekamen sie Solidarität, für Ihre Positionen, sich als Feminist*innen gegen rechte Vereinnahmung und Ausgrenzung zur Wehr zu setzen, andererseits aber auch als Unterstützung gegen die Hasskommentare. Ihre Enttäuschung über das drohende Projektaus hielten beide deswegen auch nicht zurück. „Wer ist eigentlich schuldig, wenn die Jugend verloren geht“ fragte Hatice Tekes, und bezogen darauf, wie insbesondere in Zeiten von Hatespeech die Einstellung eines Projektes, in dem es um eine Auseinandersetzung mit den Positionen anderer Menschen geht, wirkt, fragte Merve Boyaci „Was haben wir getan, dass man uns so vernachlässigt, obwohl uns das Projekt so gut tut.“ Eine berechtigte Frage, auf die auch die Schlussrednerin Dr. Katharina Greszczuk keine Antwort gab.

Und das ist dann auch das einzige, was den Eindruck des Tages ein wenig trübt. Es waren tolle Menschen, Jugendliche, Erwachsene, Pädagog*innen, engagierte Menschen, welche sich mit für sie relevanten Themen auseinander setzen, sich bewaffnet mit Blog und Videokamera für bessere Bedingungen einsetzen und Jugendlichen eine Stimme geben. Das nennt sich Partizipation, und zwar auf Augenhöhe. In diesem tollen Projekt muss sich niemand verstecken, es ist gelebter Diskurs, gelebte Demokratie, und es befriedigt ein Bedürfnis der jungen Menschen, wahr genommen zu werden, Gewicht zu haben. Sie wachsen daran und entwickeln Selbstbewusstsein, Haltung, und lernen, diese friedlich zu vertreten. Solidarität gegen Diskriminierung, Auseinandersetzung in der Tiefe statt schnell gelieferte Erklärungen, keine schnellen Ergebnisse, dafür das Erlernen eigener Überzeugungen und Einstellungen, und das bei vielen jungen Menschen sind die Merkmale guter Sozialer Arbeit mit jungen Menschen, welche als Multiplikator*innen Monat für Monat vielen tausend Menschen zur Verfügung stehen. Das reicht wohl leider nicht dafür aus, um weiter gefördert zu werden. Aber das sollte es.



 
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